Der Maler und das Model
German Vogue March 2004
Das Vogue-Gespräch
Schönheit spielt für Alex Katz und Stephanie Seymour eine große Rolle. Wie wenig sie mit Oberflächlichkeit zu tun hat, belegt ihr Dialog über Kunst, Mode und Warhols Gier.
Ein Schneesturm überrascht New York. Während die Stadt scheinbar aufhört zu funktionieren und die Menschen auf der Straße verzweifelt nach Taxis Ausschau halten, die nicht kommen werden, sitzt Alex Katz entspannt in seinem riesigen Studio in SoHo. Der Maler, der seit den 50er Jahren mit nur augenscheinlich klassischen Werken eine völlig neue Sicht auf die amerikanische Gesellschaft wagt, wartet auf Stephanie Seymour. Das Supermodel liebt Kunst ebenso wie Mode. Mit ihrem Mann, dem Medienunternehmer und Sammler Peter Brant, drei leiblichen und fünf angeheirateten Kindern lebt die 35-Jährige in Connecticut auf einer Farm voller Kunstwerke, darunter Warhols, Lichtensteins, Basquiats. Seymour hat sich durch den Wintereinbruch verspätet und reicht dem 76-Jährigen nun schüchtern die Hand: "Ich bin Stephanie." Dann wendet sie sich seinen Bildern - manche von ihnen sieben Meter lang - an den Wänden zu.
Stephanie Seymour:
Arbeitest du noch jeden Tag?
Alex Katz:
Ja, aber bloß ein bisschen. Das Schöne an meinem Alter ist, dass ich zurückblicken kann und sehe, wie ich mich über die Jahre entwickelt habe. Ich hoffe natürlich, dass ich mich auch weiterhin verändern werde - ob dabei allerdings ein besserer Künstler herauskommt, weiß ich nicht.
(Er lacht.) Immerhin halt ich meine jüngsten Landschaftsbilder für die gelungensten, die ich je gemalt habe. Ich werde also noch nicht so bald aufhören. Aber das ist bei dir nicht anders, oder?
Stephanie Seymour:
Ich bin seit meinem 15. Lebensjahr Model. Wie alle Mädchen träumte ich davon, Prinzessin, Kinostar oder "Avon Girl" zu werden. 1983 las ich dann in einer Zeitschrift, dass die Modelagentur Elite den "Look des Jahres" suchte, und schickte zwei Fotos ein, die meine Mutter von mir aufgenommen hatte; Die Aussicht auf 200 000 Dollar und eine Reise nach New York waren einfach zu verlockend … Ich mag den Job noch immer, deshalb mache ich weiter, selbst wenn ich längst nicht mehr meinen Lebensunterhalt damit verdienen muss. Im Gegensatz zu früher arbeite ich jetzt ausschließlich mit Leuten die ich interessant finde. Ich weigere mich, langweilige Fotos zu machen.
Alex Katz:
Andere zu langweilen ist eine Todsünde. Gute Kunst zeichnet sich dadurch aus, dass sie eben nicht langweilt.
Stephanie Seymour:
Ein wahrer Künstler sieht das Leben doch durch die Brille der Schönheit. Leider klingt es gleich immer so oberflächlich und banal, wenn man über Schönheit spricht. Dabei muss das gar nicht so sein …
Alex Katz:
Ich sage immer: "Ich male keine Kreuzigungen." Nur weil man sich ernste Themen vornimmt, hat das Gemälde noch lange nichts Erhabenes. Sublim ist die Malerei an sich, das Sujet ist nicht so wichtig. Mir ging es stets darum, die Welt auf eine moderne, raffinierte Weise zu zeigen, überraschend und zugleich intensiv zu sein. Vielleicht ist das ein Erbe meiner Eltern: zweier jüdischen Bohèmiens, die aus Russland emigriert sind. Mein Vater kam aus einer sehr reichen und kultivierten Familie, die durch die Revolution alles verloren hatte. Er war ein Dandy, ein Playboy russischer Art, der gern Motorrad fuhr und in allen Stilfragen bestens Bescheid wusste. Meine Mutter, eine Schauspielerin, die aus Polen stammte, las mir, als ich vier war, Gedichte in fünf verschiedenen Sprachen vor. Meinem Vater gefiel das nicht, und er rief: "Schluss mit den Fremdsprachen, sonst setz ich dich vor die Tür!" Ich erinnere mich, wie ich mit 19 unser Haus aquamarinfarben anstrich. Die Nachbarschaft lief Sturm, meine Mutter, die zu der Zeit in Europa war, sagte bei ihrer Rückkehr jedoch kein Wort, und erst Jahre später gestand sie mir, wie entsetzt sie gewesen war. Eine ebenso tolerante wie unkonventionelle Familie …
Stephanie Seymour:
Wie kamst du zur Malerei?
Alex Katz:
Als ich 13 war, erzählte mir ein Freund von einer Akademie in Queens, und ich ging mit ihm hin. Es war grauenhaft. Eigentlich brüstete sie sich damit, eine "Schule für moderne Kunst" zu sein, in Wahrheit würde allerdings moderne Provinzkunst gelehrt. Immerhin gab es dort viele alte Zeichnungen, dir mir gefielen. Später studierte ich and der Cooper Union in Manhattan und der Skowhegan School of Painting and Sculpture in Maine.
Stephanie Seymour:
Du bist doch sicher Andy Warhol begegnet - mein Mann verehrt ihn sehr, wie du weißt.
Alex Katz:
Natürlich kannten wir uns. Wir sind fast gleich alt und arbeiteten zur selben Zeit in derselben Stadt. Der Unterschied zwischen uns wurde deutlich, wenn Warhol eine Auftragsarbeit bekam: Er hatte immer nur Zahlen im Kopf.
Stephanie Seymour:
War er wirklich so geldgierig, wie es heißt?
Alex Katz:
Ja, doch gleichzeitig wollte er etwas verändern, und er wusste genau, wie er es anstellen musste. Während er sich in der Werbung wohl fühlte, war ich hingegen viel mehr in den schönen Künsten zu Hause.
Stephanie Seymour:
Hältst du Warhol nicht für einen Maler?