Sexy Seymour

German Max April 2006


Terry sagt zur Begrüßung: "Hallo Steph, zieh dich schon mal aus."

Am 27. April 2005 klettert Stephanie Seymour aus der Limousine, die sie von ihrer Villa im Vorort in Connecticut an die New Yorker Straße Bowery brachte, und steigt die Stufen hinauf zum Loft des Fotografen Terry Richardson. Der ist bekannt dafür, dass er Fotos schießt, die provozieren. Es kommt vor, dass er während eines Shootings sein Glied aus der Hose holt und mit dem Model schlafen möchte. In solchen Situationen überlässt er seinen Assistenten Seth die Kamera, der ohnehin der technisch bessere Fotograf von den beiden ist. Mit seiner Terry-Erotik, einer Mischung aus Fernfahrersex und High-Fashion, brachte es Richardson zu Weltruhm - er gilt als der einflussreichste und wichtigste Porträtfotograf des vergangenen Jahrzehnts. Ihm verdanken wir die wunderbare Liaison von Porno und Mode in der Werbung.

Stephanie Seymour, die in den Neunzigern eines der berühmtesten Models der Welt war, verspürt keine Angst vor Richardson. Weil sie ihn seit vielen Jahren kennt und weiß, dass er im Kern ein sanftmütiges und unsicheres Kerlchen ist, das mit seinen exhibitionistischen Eskapaden bloß von seiner eigenen Verschrobenheit ablenken will. Wer ständig mit dem Penis wedelt, muss nicht so viel über den Sinn des Lebens nachdenken. Seymour, Profi wie keine zweite im Business, war vom Pariser Intellektuellen-Modemagazin Purple angefragt worden, ob sie nicht die besten Stücke der Kollektionen für den Frühling/Sommer 2006 vorführen wolle. Na klar, hatte sie gesagt.

Eigentlich will sie ja schon seit einigen Jahren kein Model mehr sein, sondern Schauspielerin, aber dann und wann lässt sie sich doch noch hinreißen. Ihre Kalkulation geht so: Wenn sie einmal im Jahr in einer hochbezahlten Werbekampagne auftritt, hat sie ihre Lebenshaltungskosten eingespielt. Um für einen solchen Job gebucht zu werden, müssen ihr Gesicht und ihr Körper hin und wieder in den Magazinen zu sehen sein, die im internationalen Fashion-Buisness als cool und richtungweisend gelten. Um sich bei den entscheidenden Leuten in der Industrie in Erinnerung zu rufen, schadet es nicht, wenn Terry Richardson die Bilder produziert.

Da öffnet sich die Tür, und eine schlanke Asiatin empfängt Seymour. Sie ist eine der Musen des Fotografen, er nennt sie Skinny, weil sie wirklich sehr, sehr dünn ist. Es existiert eine Fotoserie von ihr, wie sie in einer Mülltonne sitzt und ihren Boss mit dem Mund befriedigt. Auf dem Tisch steht eine Tasse frischer Kaffee fürs Model. Terry sagt zur Begrüßung: "Hallo Steph, zieh dich schon mal aus." Und setzt sein texanisches Bauarbeiterlächeln auf. Nach Feierabend wird er auf einer Website ein Interview geben, in dem er von Seymours Körper schwärmt: "Nicht zu dick und nicht zu dünn. Genau richtig." In der Tat befindet sie sich in einer unglaublich frischen Verfassung. Nimmt irgendjemand dieser Frau ab, dass sie im September 2006 ihren 38. Geburtstag feiert und ein halbes Jahr vor diesem Shooting ihr viertes Kind (endlich eine Tochter) zur Welt gebracht hat? Naturwunder Seymour!

Sie stellt ihren Körper seit 24 Jahren den Fotografen zur Verfügung - in dieser Branche gibt es für Seymour keine sexuellen Überraschungen mehr. Richardson benimmt sich an diesem Tag tadellos, aber selbst wenn er seine Penis-Show abgezogen hätte: Seymour wäre Herrin der Lage geblieben. Nur wenige Frauen im Business genießen einen Ruf, der noch abenteuerlicher ist als Richardsons. Seymour ist eine von ihnen. Es kursieren Geschichten über sie, die in Magazinen wie diesem aus rechtlichen Gründen nicht abgedruckt werden dürfen. Sie war ungefähr 16 Jahre alt, als sie mit dem Gründer der Modelagentur Elite, John Casablancas, eine Affäre begann - was ihrer Karriere ausgesprochen gut tat. Er verließ seine Ehefrau und zog mit dem 20 Jahre jüngeren Model zusammen.

In ihren Glanzjahren zu Beginn des vergangnen Jahrzehnts entdeckte sie ihre Faszination für drogenabhängige Rockstars und führte ein Leben, das selbst in Super-Model-Kreisen Aufsehen erregte. Sie verließ Casablancas zugunsten von Warren Beatty und wurde dann von dem drittklassigen Gitarristen Tommy Andrews geschwängert. Der Sohn heißt Dylan Thomas, ist inzwischen 16 Jahre alt und angeblich ein wohlerzogener Junge.

Doch Gatte Tommy war ein Mistkerl und Stephanie reichte nach wenigen Monaten - noch vor der Geburt des Kindes - die Scheidung ein. Nun wollte sie es ruhiger angehen lassen und wählte sich Axl Rose zum Lebensgefährten. Na ja, man trennte sich später einvernehmlich, und Axl begründete, er sei die ständige Prügel leid gewesen, die er von seiner Freundin einstecken musste. Schließlich nahm Seymours Interesse an Rockstars ab, und sie verguckte sich in den Filmproduzenten, Verleger und Multimillionär Peter Brant. Der fühlte sich ebenfalls zu dem Model hingezogen, verließ Frau und fünf Kinder und zeugte dann noch mal drei mit Seymour. Die behauptet, sehr glücklich zu sein mit ihrem Job als Mutter und Gelegenheits-Top-Model.

So aufreizend wälzt sie sich am 27 April 2005 vor Terry Richardsons Kamera und präsentiert Pelz von Fendi und Kleid von Valentio mit ihren unverwüstlichen Model-Körper. Eine Brustwarze blitzt auf. Das Unterhöschen fehlt. Schön sieht das alles aus. Hier sind zwei absolute Fashion-Profis am Werk. Gegen 18 Uhr holt die Limousine Stephanie Seymour ab und bringt sie zurück in ihre Villa in Connecticut. Das Ende eines Arbeitstages.