Stephanie

German Vogue April 2007


German (Deutsch) Vogue April 2007

Sexsymbol und Mutter von vier Kindern:
Seymour zeigt sich so aufregend wie nie

„Bei einem Modeshooting will ich nicht ich selbst sein“

Das grüne Ungaro-Kleid, dem die Windmaschine ungebärdiges Leben einhaucht, flattert um Stephanie Seymours makellose Beine, es presst sich gegen ihre schmale Statur, dann bläht es sich zu einer pompösen Wolke. Der rebellische Chiffon ist Seymours Komplize vor dem Objektiv, sie bändigt ihn mit sanften Gesten oder stachelt ihn mit Sprüngen und Drehungen zu stürmischer Zärtlichkeit an. Keine Sekunde wendet sie den Blick von der Kamera ab, die auf die extravagante Verführung nur mit elektronischem Piepsen reagiert.
Stephanie Seymour liebt ihren Beruf, den sie als Mutter von vier Kindern mittlerweile zu ihrem erklärten Hobby gemacht hat. „Beim Fotografieren will ich aus mir heraustreten, da will ich nicht ich selbst sein. Ich brauche eine Vision, einen Charakter, denn eigentlich bin ich sehr schüchtern.“ Das glaubt man ihr zwar kaum, wenn sie auf der kleinen Bühne des Fotostudios posiert, wohl aber im Gespräch – ihre Stimme ist leise, ihre Körpersprache verhalten. Die intensive Zusammenarbeit hatte sie mit Richard Avedon: „ Ich sollte eine ganz bestimmte Figur verkörpern. Er sagte: ‚Stell dir vor, du bist eine Frau im Jahr 1890, es ist ein grauer Morgen in Paris, und du besuchst deinen Liebhaber…’ Dick hat dann sehr geduldig darauf gewartet, bis ich dort angekommen war. Es war ein sehr persönlicher Prozess zwischen ihm und mir, alle anderen mussten sich praktisch unsichtbar machen, sonst hatte er sie rausgeschmissen. Es herrschte absolute Ruhe.“
Eine solche hochkonzentrierte Atmosphäre liegt Seymour mehr als lockere Geschwätzigkeit: „Ich nehme die Sache sehr ernst – man will doch eine gewisse emotionale Tiefe zeigen“, meint sie. Die Bilder, die sie mit Jürgen Teller inszenierte, nennt sie als ein Beispiel: „Ich sammle seit 15 Jahren historische Couture, inzwischen besitze ich rund 250 Stücke. Jürgen war von den Kleinern begeistert, und ich durfte sie vor der Kamera tragen. So hatte ich das Gefühl, etwas sehr Persönliches einzubringen.“ Im Unterschied zu anderen Frauen mit bedeutenden Kollektionen kostbarer Roben ist Stephanie Seymours Kleiderschrank kein Museum, die schönsten Stücke führt sie auch immer wieder aus – selbst ihre fragilen Fortuny-Roben aus dem späten 19. Jahrhundert. „Darin fühle ich mich wie ein lebendes Kunstwerk – es ist einfach unwiderstehlich.“
Das Konservieren alter Couturestücke von Yves Saint Laurent, Dior oder Balenciaga, die sie auf Auktionen in New York, Paris und London ersteigert, verschafft ihr ebenso große Befriedigung wie das Tragen der historischen Meisterwerke. Spezialisten des New Yorker Fashion Institute of Technology helfen Seymour bei der Katalogisierung und professionellen Lagerung ihrer Schätze in ihrem Haus in Connecticut.
Noch mehr als das Verlangen, ihre Couturesammlung zu erweitern, liefert ihre Leidenschaft für Kunst schon seit langem einen Grund zu arbeiten: „Ich war eine alleinstehende Mutter und musste meinen Lebensunterhalt verdienen. Mit dem, was übrigblieb, wusste ich nie so recht etwas anzufangen – die Kunst hat mir ein Ziel gegeben.“ Das erste Bild, das sie je erwarb, war ein kleiner Totenkopf von Andy Warhol – das Memento mori war sicherlich eine vernünftige Anschaffung für ein Supermodel, schließlich folgt der Schönheit der Gedanke an Vergänglichkeit wie ein Schatten. Nachdem sie ihre Schwellenangst mit dem Warhol-Bild überwunden hatte, kaufte sie bald darauf ein großes Gemälde von Basquiat. „Ich mag seine Energie, und ich finde auch etwas sehr Pures in seinen Bildern“, meint sie zu dem jung verstorbenen Rimbaud des East Village. Viele weitere Werke dieser Lieblingskünstler, aber auch von Francesco Clemente – der sie gemalt hat –, David Salle und Jeff Koons hängen in ihrem Landhaus. Peter Brant, der Verleger, Filmproduzent, Pferdezüchter und Polospieler, den sie 1995 nach legendären Beziehungen mit John Casablancas, Axl Rose und Warren Beatty heiratete, gehört zu den prominentesten Sammlern der USA, und er hat auch ihr Auge geschärft.
„Große Kunst hasst man zuerst oft“, weiß sie aus Erfahrung. „Und je mehr sie einen stört und ärgert, desto hartnäckiger muss man zu ihr zurückkehren.“ Andere Kunstwerke machen es einem so leicht, sie zu leiben, dass man sich durch ihren Charme beißen muss wie durch einen dicken Zuckerguss, um zu ihren Ernst vorzudringen. Das gilt etwa für Jeff Konns’ gigantische Pflanzen-Skulptur Puppy, die das Ehepaar vor ein paar Jahren kaufte und nun mit den Kindern immer wieder auffrischt. Eine gute Lektion über die Tatsache, dass Kunst nur dann Ewigkeit besitzt, wenn man sich ihr konstant widmet. Überhaupt hält sie die Kunst und ihre engen Verwandten Mode und Design für die besten Erzieher: „Meine Kinder sehen die Welt aus einer anderen Perspektive, jede Suppendose ist für sie auch ein potentielles Pop-Art-Objekt.“ Seymour hat ihre Söhne zu so vielen Modenschauen mitgenommen, dass sie darauf bestehen, ihre Mutter anzukleiden und Accessoires auszusuchen, wenn sie sich für eine Gala zurechtmacht. „Sie haben einen wirklich guten Geschmack“, sagt Seymour stolz. So sehr fühlt sie sich ihrer Mutterrolle verpflichtet, dass sie sogar meint, diese würde auch ihre Arbeit vor der Kamera durchdringen. Doch da muss man ihr widersprechen – von vier Kindern ist keine Spur zu sehen, und nach einem Vierteljahrhundert als Model ist Stephanie Seymour einfach nach wie vor skandalös schön.

Claudia Steinberg